Ein Aufgabenteil im Pflichtteil des schriftlichen Abiturs Mathematik in Baden-Württemberg ist der
mathematische Aufsatz, etwa wie in folgendem Beispiel:


A5
Die Abbildung zeigt das Schaubild einer Funktion f .
F ist eine Stammfunktion von f .
Begründen Sie, dass folgende Aussagen wahr sind:

(1) F ist im Bereich `\ -3 <= x <= 1\ ` monoton wachsend.

(2) `f´` hat im Bereich `\ -3,5 <= x <= 3,5\ ` drei Nullstellen.

(3) `int_0^3::f´(x)::dx = -1`



agraph graphsize=1.3; xscl=1; xyAchsen(); strokewidth=2; plot(4/153*x^5-125/459*x^3 + 1); endagraph


Dabei geht es darum, in ganzen deutschen Sätzen mit mathematischen Fachbegriffen logisch richtig
und nachvollziehbar Sachverhalte zu begründen. Eine Zeile allein genügt nicht. Drei bis fünf Zeilen
reichen für die meisten Begründungen.

Während mathematische Lösungsverfahren (z.B. Lösen einer Gleichung) extrem symbolisch und kurz
sind, soll im mathematischen Aufsatz nichts abgekürzt werden.

Insbesondere sind keine Ausrufe und keine Teilsätze erwünscht.

Man schreibt bei der obigen Aufgabe nicht
(1) wahr!
, weil es nicht Aufgabe ist, die Aussagen zu bestätigen.

Man schreibt auch nicht
(2) falsch!
, weil es extrem unwahrscheinlich ist, dass in der schriftlichen Abiturprüfung eine Behauptung als wahr
dargestellt wird, die es nicht ist.

Es ist auch nicht zielführend, in das Diagramm das Schaubild einer Stammfunktion zu skizzieren
und in der Reinschrift zu vermerken:
(1) siehe Skizze
Eine Skizze ist keine Begründung. Es wird eine sprachliche Begründung erwartet. Außerdem werden
vor der Korrektur der Abiturarbeiten die Aufgabenblätter entnommen und Lösungsteile auf
Aufgabenblättern werden nicht gewertet.

Man fängt stereotyp so an:
Aussage (1) ist wahr, denn ...

Man schreibt also z. B.:
Aussage (1) ist wahr, denn für jede Stammfunktion F von f gilt definitionsgemäß f = F', und da f im
Bereich `blau(-3 <= x <= 1)` positiv ist, wie man der Abbildung entnimmt, ist F' in diesem Bereich positiv.
Das aber heißt, dass F in diesem Bereich nach dem Monotoniesatz (streng) monoton wachsend ist.


Man schreibt niemals
Die Funktion ist monoton wachsend.
, weil es immer bei diesem Aufgabentyp um mehrere Funktionen geht: `\ f, \ f´,\ f´´,\ F\ ` .
Wenn eine dieser Funktionen monoton wachsend ist, muss es die andere nicht sein.
Da hier die Funktion f gezeichnet ist und in der Aufgabe von F die Rede ist, ist mit
Die Funktion ist monoton wachsend.
nicht klar, welche Funktion gemeint ist.

Es muss zweifelsfrei klar sein, was mit den Begriffen in der Begründung gemeint ist.
Nachdem man einen Satz (im Entwurf) geschrieben hat, überprüft man ihn, ob er
Mehrdeutigkeiten enthalten könnte.

Wenn man liest, dass es um "monoton wachsend" geht, dann muss einem der Monotoniesatz
einfallen. Ein Hauptzweck der Ableitungsfunktion `g´` ist, dass damit etwas über Monotonie
von g ausgesagt werden kann. Also muss in der Begründung das Wort "Monotoniesatz"
vorkommen. Abitursaufgaben fragen versteckt nach dem Monotoniesatz, sie fragen nicht:
Wie lautet der Monotoniesatz?

Ebenso wird in der Aufgabe versteckt nach der Definition einer Stammfunktion gefragt.

Aussage (2) ist wahr, denn eine Nullstelle von `blau(f´)` ist eine Stelle, an der (das Schaubild von) f
eine Tangente mit Steigung 0, also eine waagrechte Tangente hat. f hat drei solche Stellen,
nämlich (abgelesen) `\ blau(x_1 = -2,5)`, `\ blau(x_2 = 0)\ ` und `\ blau(x_3 = 2,5)` .


Es genügt nicht zu schreiben, dass `f´` drei solche Stellen hat, ohne sie so genau wie möglich
anzugeben.

In der Aussage (3) wird versteckt nach dem Hauptsatz gefragt. Der sagt aus, dass sich ein
Integral exakt berechnen lässt, wenn man bestimmte Funktionswerte von nur zwei Stellen
kennt. Und in diesem Fall kann man diese zwei Funktionswerte aus der Zeichnung ablesen:

Aussage (3) ist wahr, denn `\ blau( int_0^3::f´(x)::dx stackrel{HS}{=} [f(x)]_0^3 = f(3) - f(0) = 0 - 1 = -1)` ;
Die Werte   f(3) = 0   und   f(0) = 1   entnimmt man der Abbildung.
Allgemein lautet der Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung:
`blau(int_a^b::g(x)::dx = G(b)-G(a))\ `, wobei G eine Stammfunktion von g ist.


Wer den Hauptsatz nicht verinnerlicht hat, war nie geistig in der Kursstufe anwesend.

Es reicht nicht annähernd zu schreiben:

Wie man an den Flächen sieht, ist `rot( int_0^3::f´(x)::dx = -1)` .

Welche Flächen? Bei (krummlinigen) Kurven kann man Flächen nicht exakt von Hand
bestimmen. Also muss es einen anderen Weg geben, auf exakt -1 zu kommen.


Die Aufgaben zum mathematischen Aufsatz können auch so formuliert sein:

Geben Sie für jeden der folgenden Sätze an, ob er wahr, falsch oder nicht entscheidbar ist.
Begründen Sie jeweils Ihre Antwort.

Stereotyp beginnt man so:

Satz (1) ist falsch, denn ...
oder
Satz (1) ist wahr, denn ...
oder
Satz (1) ist nicht entscheidbar, denn ...

Man verwendet keine anderen Begriffe als "wahr", "falsch", "nicht entscheidbar", wenn diese
in der Aufgabe vorgegeben sind.




Gei